Quelle Spiegel Online: https://www.spiegel.de/politik/ausland/botswana-ist-afrikas-erfolgsgeschichte-was-das-land-richtig-macht-a-1301761.html
Botswana ist gelungen, woran die meisten afrikanischen Staaten scheitern: Es hat seine Diamantenvorkommen genutzt, um eine friedliche und relativ wohlhabende Gesellschaft aufzubauen. Wie hat das Land das geschafft?
Aus Botswana berichtet Adrian Breda
Botswana sieht nur von oben aus, wie man sich als Europäer Afrika vorstellt. Nachdem das Flugzeug in der Hauptstadt Gaborone gelandet ist, zeigt sich schnell ein anderes Bild.
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Freundlich, zügig und überraschend akribisch prüfen die Beamten den Reisepass - wer bereits in Afrika gereist ist, weiß, dass das keine Selbstverständlichkeit ist.
Weiter geht es mit Taxifahrern, die einen fairen Festpreis aufrufen. Während der Fahrt in die Stadt säumen US-amerikanische Fastfood-Ketten die perfekt ausgebauten Straßen, auf denen die botswanische Oberschicht in ihren europäischen Cabrios cruist.
Und nicht nur das: Botswana ist Afrikas älteste und vermutlich erfolgreichste Demokratie. Das Land ist der am wenigsten korrupte Staat auf dem Kontinent, sorgt für eine vergleichsweise gute Bildung und hat ein kostenloses Gesundheitssystem. Was läuft hier gut, was in anderen Ländern in Subsahara-Afrika nicht funktioniert?
Um den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg Botswanas zu erklären, muss man zurückgehen, zum 30. September 1966, Mitternacht: Die Nation Botswana wird geboren. Endlich unabhängig von Großbritannien. Erstmals wird die neue Flagge gehisst. Sie besteht aus fünf waagerechten Streifen - blau, weiß, schwarz, weiß, blau. Blau steht für Himmel und Wasser, Weiß und Schwarz für verschiedenen Hautfarben, die in Botswana friedlich zusammenleben sollen. Das Ziel: Gleichberechtigung und Wohlstand.
Damals ist das nicht mehr als eine Hoffnung. Heute ist es wahr. Und das, obwohl das Land denkbar ungünstige Ausgangsbedingungen hatte, als es unabhängig wurde.
Es gibt keinen Zugang zum Meer, was den Handel erschwerte. Dazu kommt, dass es überhaupt nur wenig gab, was man exportieren konnte. Weniger als ein Prozent der Landesfläche eignet sich zum Ackerbau. Die Wirtschaft lag damals am Boden, die Bevölkerung hungerte.
Außerdem war der Staat Botswana im Wesentlichen eine Erfindung der britischen Kolonialisten gewesen und setzte sich aus einer Vielzahl von Königreichen zusammen. Kulturell war deren Bevölkerung zwar nicht so verschieden wie in anderen frisch gegründeten Staaten Afrikas, das Potenzial für Auseinandersetzungen war dennoch gegeben. Denn in der jungen Nation wurden schnell Diamanten gefunden - von denen alle profitieren wollten.
Kurzum: Es sah nicht gut aus für Botswana.
Ganz anders heute, gerade im Vergleich zur eigenen Vergangenheit und der Gegenwart vieler Nachbarstaaten. Der somalische Geografie-Professor Abdi Ismail Samatar bezeichnet Botswana deshalb sogar als "afrikanisches Wunder". Vor allem aus diesen Gründen:
Im weltweiten "Corruption Perception Index" von Transparency International belegt Botswana den 34. Platz und schneidet damit besser ab als Polen, Spanien und Italien.
1966 gab es in Botswana sechs weiterführende Schulen, die von drei Prozent der Kinder besucht wurden. Landesweit verfügten 30 Personen über einen Hochschulabschluss. 2014 besuchten fast 90 Prozent der Kinder eine Schule. Bildung ist für die allermeisten gratis, von der ersten Klasse bis zur Promotion. Die Ausgaben für Schulen und Universitäten belaufen sich aktuell auf 29 Prozent der Regierungsausgaben - der mit Abstand größte Anteil.
Das Gesundheitssystem ist für die Bevölkerung ebenfalls gratis. Laut Unicef ist für 84 Prozent der Bevölkerung der nächste Gesundheitsposten weniger als fünf Kilometer entfernt - eine enorme Leistung für ein Land, das größer ist als Frankreich und weniger Einwohner hat als Berlin.
Im "Demokratieindex" der britischen Zeitschrift "The Economist" belegt Botswana den 28. Platz - vor Frankreich, Belgien und Italien. Berücksichtigt werden Wahlprozesse, die Funktionsweise der Regierung, politische Teilhabe, die politische Kultur und Bürgerrechte.
Wie kann Botswana das alles finanzieren? Der Staat steckt Geld in Schulen, Krankenhäuser und Straßen, das er durch die extrem ertragreichen Diamantminen einnimmt, die 90 Prozent der Exportbilanz des Landes ausmachen.
Für Keith Jefferis vom botswanischen Thinktank Econsult ist Botswanas Erfolg keine Selbstverständlichkeit. Das sehe man etwa am Vergleich zu Nigeria, das trotz seines Ölreichtums bei Weitem nicht so gut dastehe wie Botswana.
Tatsächlich belegen Studien, dass Ressourcenreichtum Wohlstand verhindern kann. Oft ist der Grund eine Abwärtsspirale von wirtschaftlicher Ungleichheit, grassierender Korruption und politischer Instabilität. Ökonomen bezeichnen dies als Ressourcenfluch.
Dass Botswana vom Ressourcenfluch verschont blieb, liegt laut Jefferis daran, dass das Land bereits seit seiner Unabhängigkeit strategisch in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur investiert - und das, ohne eine Gruppe oder Region zu bevorzugen.
"Wären die Gewinne damals nicht gleichmäßig verteilt worden, hätte das zu großen Spannungen innerhalb der Bevölkerung geführt", so Jefferis. Und tatsächlich: Der letzte Krieg in Botswana fand 1852 statt. Seither herrscht Frieden. Polizisten patrouillieren unbewaffnet, und die Armee wird lediglich zu Beobachtermissionen eingesetzt.
Laut Jefferis ist in Botswana wegen der guten wirtschaftlichen Entwicklung gelungen, was in anderen afrikanischen Staaten gescheitert ist: Die relativ heterogene Bevölkerung habe zusammenwachsen und ein Nationalgefühl entwickeln können.
Auch Andreas Wimmer hält Botswana für eine Erfolgsgeschichte. Er ist Professor an der Columbia-Universität und hat ein Buch geschrieben über die Frage, warum einige Länder auseinanderbrechen und andere prosperieren. Sein Argument greift den Gleichheitsgedanken von Econsult-Chef Jefferis auf: "Seit der Unabhängigkeit hat Botswana Regierungen und Parlamente gehabt, in denen alle wichtigen ethnischen Gruppen ungefähr proportional zu ihrem Bevölkerungsanteil vertreten waren."
Wohin dagegen die übermäßige Dominanz einer Gruppe führe, könne man in Syrien beobachten, das seit Jahrzehnten von einer alawitischen Minderheit regiert werde. Dies sei "ein Rezept, das mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit zu Konflikt und Krieg" führe, so Wimmer.
Doch Botswanas Erfolg hat nicht nur eine recht klare Ursache, sondern auch einen eindeutig bestimmbaren Ort: das Diamantenzentrum, das am nördlichen Stadtrand von Gaborone liegt. Auf einer Fläche von 40 Fußballfeldern wird hier ein Großteil des nationalen Wohlstands erschaffen.
Hinter sechs Meter hohen Elektrozäunen werden die Diamanten sortiert, geschliffen und verkauft. Besucher werden am Eingang fotografiert und müssen Fingerabdrücke abgeben, bevor sie eine Sicherheitsschleuse passieren dürfen.
Die 34-jährige Boipelo Mothoemang arbeitet seit 2008 als Schleiferin in dieser Hochsicherheitszone. Davor war sie zwei Jahre arbeitslos. "Als ich mit dem Job angefangen habe, hatte ich gar nichts. Und über Diamanten wusste ich auch nichts", sagt sie.
Heute verdient sie als Vorarbeiterin ein weit überdurchschnittliches Einkommen. So kann sie sich inzwischen ein eigenes Haus leisten - und ihre Familie unterstützen: "Insgesamt sind das acht Personen: meine Mutter, Brüder, Schwestern und auch deren Kinder. Ich bin die Ernährerin." Staatliche Unterstützung für Arbeitslose gibt es in Botswana nicht, ihre Familie ist auf Boipelo Mothoemang angewiesen.
Insgesamt arbeiten etwa 10.000 Menschen in Botswanas Diamantenindustrie. "Und an jedem Mitarbeiter hängen noch mehrere Familienmitglieder, die über die lukrativen Jobs durchgebracht werden", sagt Rutang Moses, Landeschefin des Diamanten-Unternehmens Safdicon.
Noch wichtiger sei jedoch die indirekte Wirkung: "Es geht nicht nur um die Zahl der Beschäftigten, sondern auch um die Investitionen und Steuern, die durch die Diamanten entstehen - vom Abbau in der Mine bis zum fertigen Ring am Finger."
Tatsächlich befinden sich seit 2006 alle notwendigen Unternehmen der Wertschöpfungskette im Land. Botswana ist beliebt bei internationalen Investoren und Unternehmen; sie schätzen die politische Stabilität und geografische Nähe zu den Diamanten.
So hat beispielsweise das weltweit größte Diamanten-Unternehmen De Beers 2013 seine Verkaufssparte nach Botswana verlegt. Und Rutang Moses' Unternehmen, Safdico, zieht derzeit gleich mit dem gesamtem Headquarter von Mauritius nach Gaborone.
Im Moment sind das Diamantengewerbe und der Staat die einzigen größeren Arbeitgeber. Doch der Diamantenreichtum ist endlich. Um in Zukunft weniger abhängig von dem Edelstein zu sein, muss Botswana sein Geschäftsmodell umbauen, hin zu einer wissensbasierten Wirtschaft.
Das ist seit Jahren geplant, gelungen ist es bislang noch nicht. Zutrauen würde man es dem Land aber - das Potenzial ist da.
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